Der erste rasche Schlag Die moderne Technik hat das gesamte Wirtschaftsleben beschleunigt. Konkret lief es bei uns so ab: Am späten Vormittag wurde der Sanierungsantrag eingebracht. Zu Mittag standen die ersten Meldungen der Zahlungsschwierigkeiten in den Online-Medien. Ab 14 Uhr riefen Journalisten der Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazine in unserer Zentrale an. Um 17 Uhr meldete sich der erste Mitbewerber bei mir, um mir einen neuen Job anzubieten. Alles lief extrem schnell. Mit der Bekanntgabe der Krisensituation wurde plötzlich vieles wichtig und dringend. Der Stress nahm gewaltig zu. Wer gut vorbereitet war, hatte einen besseren Start. Die Lehre für die tägliche Arbeit lautet also: Konzentriere dich auf Dinge, die wichtig, aber nicht dringend sind. Sie kommen dir in der Krise zugute. Die Rettung des Vertrauens Wir arbeiten in der Dienstleistungsbranche, in der es eine einzige Grundlage für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen gibt, nämlich das Vertrauen. Wir wussten aus unseren Klientenbefragungen, dass sich das Vertrauen auf zwei Bereiche erstreckt, nämlich einerseits zum persönlichen Berater und andererseits in das Unternehmen. Uns war bewusst, dass mit dem Bekanntwerden der Zahlungsschwierigkeiten das Vertrauen in unsere Firma einen schweren Schlag erleiden würde. Und es war klar, dass es unmöglich sein würde, die Insolvenz vor Klienten und Geschäftspartnern geheim zu halten. Wenn es etwas zu retten gab, dann war es das Vertrauen unserer Kunden in uns als Personen. Nach kurzfristiger Abstimmung mit Masseverwalter und Rechtsanwälten schickten wir einen kurzen Text per E-Mail an unsere Geschäftspartner, um sie über die neue Situation zu informieren. Die wichtigsten Lektionen aus der Kommunikation mit Geschäftspartnern in Krisensituationen: • Kommuniziere rasch: Es ist besser, wenn Kunden schlechte Nachrichten von dir und nicht von Dritten erfahren. • Kommuniziere offen: Beschönige nichts, wo es nichts zu beschönigen gibt. Die Offenheit stärkt das Vertrauen und bildet die Grundlage für den möglichen Fortbestand der Beziehung. • Welche Änderungen gibt es: Stelle dar, welche Auswirkungen diese Situation auf die konkrete Geschäftspartnerschaft hat: Was ändert sich, was bleibt gleich. • Präsentiere Pläne und nächste Schritte: Das Vertrauen steigt, wenn klar ist, dass es einen Plan gibt. Auch Szenarien, die „best case“ und „worst case“ darstellen, sind hilfreich. Kunden können fast alles akzeptieren und verstehen, wenn es offengelegt wird. • Nenne Wünsche: Natürlich können wir das Verhalten unserer Kunden nur mittelbar beeinflussen. Aber wir können jedenfalls aussprechen, welche Reaktion wir uns von ihnen wünschen. • Es ist extrem unangenehm, schlechte Nachrichten zu überbringen: Manche Kollegen scheuten die Konfrontation mit ihren Klienten und gingen ihr ganz aus dem Weg. Aber nicht zu kommunizieren, ist der größte Vertrauensbruch und damit die schlechteste Lösung. Die allgemeine Meinung der Kunden lautete: Sobald es sicher ist, dass die Sanierung gelingt und das Unternehmen weitergeführt wird, steht einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nichts im Wege. Solange es unsicher ist, werden keine Rechnungen bezahlt und keine neuen Aufträge erteilt. Mit jedem Tag der Unsicherheit wurde eine weitere Zusammenarbeit unwahrscheinlicher, da unser Mitbewerb schon in den Startlöchern lauerte. Wir hätten an ihrer Stelle das selbe getan. Wir Kollegen waren einer Meinung, dass die berufliche Unsicherheit auch im Kreise der Familie, selbstverständlich auch mit den eigenen Kindern offen besprochen werden sollte. Schließlich spüren auch die Kleinen, wenn etwas mit ihren Eltern nicht stimmt, und sie sollten Bescheid wissen, woran es liegt. Das generelle Empfinden innerhalb und außerhalb des Unternehmens war: Die hauptverantwortlichen Täter sind der Vorstand, Investoren und Aufsichtsrat sind Mittäter. Die Mitarbeiter hingegen wurden als Opfer gesehen. Zahlreiche Klienten wünschten am Telefon oder per E-Mail Kraft in dieser schwierigen Zeit. Sie bedauerten die Schwierigkeiten des Unternehmens und hofften auf weiteren Kontakt bei einem neuen Arbeitgeber. Der nahende Absturz Fast alle Geschäftspartner waren zunächst bereit, einen gewissen Vertrauensvorschuss zu geben. Das funktionierte ein paar Wochen lang, doch dann wurde das bevorstehende Ende immer deutlicher: Die Postmaschine wurde abgedreht, die Kaffeelieferungen blieben aus, Internet- und Telefonanbieter drohten mit dem baldigen Einstellen ihrer Leistungen. Und ein Unternehmen ohne Internet, Telefon und Post – und Kaffee – weiterzuführen, ist schlicht unmöglich. Spätestens in der dritten Woche nach Einleitung des Sanierungsverfahrens war klar, dass das Unternehmen keine Zukunft mehr hatte. Es fühlte sich an wie in einem Flugzeug, bei dem hoch über den Wolken die Turbinen abgedreht werden. Einige Zeit lang segelte das Flugzeug. Doch als nichts Wesentliches passierte, folgte unweigerlich der Crash. Die Mitarbeiter reagierten darauf, indem sie sich für den Worst Case vorbereiteten: Private Gegenstände wurden aus dem Büro nach Hause geschafft oder an Kollegen verschenkt, private Daten und Dokumente wurden gesichert. Die Kollegen sammelten private E-Mail-Adressen und Telefonnummern und verteilten sie untereinander. Sie aktualisierten ihr Kontaktnetzwerk auf Plattformen wie Xing oder LinkedIn. Auf Facebook wurde eine Gruppe gegründet, die nur Mitarbeitern des Unternehmens zugänglich war. Ich richtete eine Liste ein, wen ich im Fall der Insolvenz von meinen neuen Kontaktdaten informieren würde. Die selbe Liste würde ich verwenden, wenn ich meinen neuen Job antreten würde. Für die ersten Tage nach der Insolvenz bereitete ich eine Out of office-Nachricht vor, bevor auch der E-Mail-Server abgedreht werden würde. Die Unterstützung der Mitarbeiter Eines der naheliegendsten Anliegen der Mitarbeiter war der baldige Eingang ihres Gehalts. Schließlich galt es, Mieten, Versicherungen und zahlreiche andere Dinge des täglichen Lebens zu bezahlen. Hier befinden sich Angestellte in Österreich in einer recht komfortablen Situation. In einem Insolvenzverfahren gibt es nur zwei Gruppen, die all ihre Ansprüche erfüllt bekommen: Der Masseverwalter und die Mitarbeiter. Alle anderen werden auf die geringen Erträge aus der Konkursmasse verwiesen. Die Ansprüche der Belegschaft eines Unternehmens im Konkurs werden in Österreich aus den Mitteln des Insolvenz-Entgelt-Fonds bezahlt, der sich zum Großteil aus Beiträgen der Arbeitgeber finanziert. Vom Insolvenz-Entgelt-Fonds sind unter anderem gesichert: • die ausständigen Gehälter • die Gehälter für die gesetzliche (nicht aber für die vertragliche) Kündigungsfrist • die nicht konsumierten Urlaubstage • das anteilige Urlaubs- und Weihnachtsgeld • der anteilige Bonus • die nicht bezahlten Spesen Alles in allem wird dadurch somit ein Großteil der Forderungen der Mitarbeiter abgedeckt. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter während dieser Zeit sozialversichert. Einziger Wermutstropfen: Das Verfahren dauert sehr lange, und bis zur Auszahlung vergehen meist mehrere Monate. Die Arbeiterkammer unterstützte uns vorbildlich mit Rat und Tat, mit Formularen und Informationen. Die Pleite Am Tag nach dem Konkurs erfuhren wir Mitarbeiter davon. Eine ausgesprochen freundliche und hilfsbereite Dame von der Arbeiterkammer unterrichtete uns in einer kurzfristig angesetzten Mitarbeiterversammlung: „Ich möchte Sie informieren, dass das Unternehmen, für das Sie gearbeitet haben, gestern in Konkurs gegangen ist. Sie sind nun berechtigt, Ihren vorzeitigen Austritt zu erklären. Das ist eine Art fristlose Entlassung, nur von Ihrer Seite. Ich habe die Formulare für Sie bereits mitgebracht. Hier oben füllen Sie Ihren Namen aus, hier das Datum, dort setzen Sie Ihre Unterschrift ein. Sie geben das Formular bei mir ab, retournieren Ihre Büroschlüssel, nehmen Ihre privaten Sachen und können gehen. Ab morgen können Sie bei einem anderen Unternehmen arbeiten.“ Innerhalb einer Stunde war das Büro fast menschenleer. Nach über 40 Jahren Bestand löste sich die Firma vor unseren Augen in Luft auf. Zurück blieben exquisite Büromöbel und gebrauchte technische Geräte, die alle nun fast wertlos waren. Der wahre Wert der Gesellschaft waren die Mitarbeiter, die sich nun in alle Himmelsrichtungen zerstreuten. Theoretisch konnten die Mitarbeiter am nächsten Tag bei einer anderen Firma anfangen. Doch kaum jemand war so gut darauf vorbereitet. Und kaum eine Firma war in der Lage, so kurzfristig ein konkretes Jobangebot zu machen. Die Finanzierung des Lebens Bis zum Antritt meines neuen Jobs sollten schließlich bloß neun Wochen vergehen. Doch bis ich mein erstes Gehalt bekommen sollte, musste ich auf insgesamt fünf Gehälter (inklusive Weihnachtsgeld) vorläufig verzichten. Fünf Nettogehälter weniger am Konto wirkten sich natürlich auf die persönliche Liquidität aus. Ich beging den Fehler, meine Bank von der Insolvenz meines Arbeitgebers zu informieren und Möglichkeiten einer Zwischenfinanzierung zu besprechen. Meine Bankbetreuerin empfahl mir, bei ihnen einen Kredit zu 8,625 % Zinsen aufzunehmen. Ob das möglich sei, müsse sie jedoch noch mit dem Risikomanager abstimmen. Das hielt ich für ein schlechtes Geschäft, denn die niedrigen Zinsen auf mein Kontoguthaben wurden in den letzten Jahren zur Gänze von den Kontospesen aufgefressen. Mein Konto war für mich gewissermaßen ein Sparstrumpf mit Online-Zugang. Es spielte keine Rolle, dass ich seit über 35 Jahren Kunde bei dieser Bank war und in den letzten 14 Jahren ohne Unterbrechung überdurchschnittlich gut verdient hatte. Es war auch unerheblich, dass ich in ein paar Monaten mein Gehalt in einem neuen Job und zusätzlich eine erhebliche Summe vom Insolvenz-Entgelt-Fonds erhalten würde. An den Konditionen war nicht rütteln. „Etwas sollten wir jedoch konkret in Ihrer Lage tun“, meinte meine Betreuerin. „Wir sollten Ihren Überziehungsrahmen ändern.“ Er betrug etwa sechs Nettomonatsgehälter, und ich war froh, dass ich dadurch zumindest eine absolute Notreserve hatte. „Wir werden ihn auf 1.000 Euro senken, da Sie ja schließlich kein regelmäßiges Einkommen haben.“ Ich meinte zunächst, ich hätte mich verhört oder meine Betreuerin hätte mich vielleicht falsch verstanden. Ich brauchte ja Geld, und das Senken des Überziehungsrahmens auf fast Null war genau das Gegenteil davon. Es war nichts zu machen. Ich werde mich sicherlich in Zukunft gut an diese Situation erinnern, wenn mir die Bank das nächste Mal versucht, etwas zu verkaufen. Ich ging am selben Tag zu meinem Finanzberater und löste einen geldmarktnahen Fonds auf, den wir vor vielen Jahren in weiser Voraussicht für Krisenzeiten angelegt hatten. Was ich daraus gelernt habe: • Bitte niemals die Bank um Geld, wenn du nicht selbst Geld hast. Es liegt in deiner Verantwortung, vor allem als junger Mensch, für deine finanzielle Unabhängigkeit in allen Lebensphasen zu sorgen. • Deine Bank wird dich in Krisenzeiten nicht unterstützen. Im Gegenteil wirst du für sie zum Risiko, wenn du keinen Job hast. • Leg mindestens sechs Monatsgehälter zur Seite, um einen Polster für Krisenzeiten zu haben. Dieses Geld muss innerhalb von maximal einer Woche ohne Verlust für dich verfügbar sein. Die Suche nach einem neuen Job Die Nachricht von der Insolvenz meines Arbeitgebers sprach sich wie ein Lauffeuer herum. Innerhalb weniger Tage riefen etliche Mitbewerber und Geschäftspartner an, die sich mit mir zu einem Gespräch treffen wollten. Es war niemand darunter, den ich nicht mindestens ein Jahr bereits kannte. In dieser schwierigen Lage wurde deutlich, wie tragfähig mein Netzwerk war. Dabei stand ich vor zwei großen Risiken: Würde ich zu schnell einen neuen Dienstvertrag abschließen, könnte ich mich eventuell unter meinem Wert verkaufen. Bliebe ich hingegen dem Arbeitsmarkt zu lange fern, würde ich für Kunden und potentielle Arbeitgeber immer weniger wertvoll. Als idealen Zeitrahmen bis zum Antritt eines neuen Jobs würde ich aus heutiger Sicht ein bis drei Monate ansetzen. Das ist jedoch gerade im Bereich von Führungskräften für viele Arbeitgeber sehr kurz, sofern vorher kein Kontakt zu den Entscheidungsträgern bestand. Nur wenige Unternehmen sind bereit, eine so wichtige Entscheidung wie die Aufnahme eines neuen Managers innerhalb eines so kurzen Zeitraums zu treffen. Einen neuen Dienstgeber zu suchen, ist in etwa so, wie einen neuen Lebenspartner zu finden. Der erste Termin ist ein freundliches Kennenlernen und allgemeines Werben. Danach vertieft sich die Beziehung in weiteren Gesprächen. Und schließlich stellt sich die Frage: „Zu dir oder zu mir?“ Der Vorteil in beruflichen Beziehungen besteht darin, die ersten Phasen schon zu absolvieren, lange bevor über ein konkretes Jobangebot gesprochen wird. Meine dringende Empfehlung lautet, zu jeder Zeit im Berufsleben persönliche Beziehungen zu interessanten Unternehmen, auch zu freundlichen Mitbewerbern aufzubauen, um in Krisenzeiten rasch handeln zu können. Fast alle Ex-Kollegen fanden innerhalb weniger Wochen einen neuen Job, und fast alles lief über persönliche Beziehungen. Sprich daher über niemanden schlecht, denn du könntest mit ihm oder für ihn arbeiten. Schließe nichts aus, denn es verringert deine Optionen. Verbrenn keine Erde, denn Kollegen, Klienten und Geschäftspartner können wichtige Referenzen im Bewerbungsprozess sein. Das Ego musste im Bewerbungsprozess einiges einstecken. Ich habe gelernt, dass es generell eine schlechte Idee ist, sich über eine tolle Visitkarte, ein attraktives Gehalt, Macht, Status, teure Mode oder gutes Aussehen zu definieren, denn alles kann im nächsten Moment verschwunden sein. Auch der gute Ruf ist fragil. Du bist, wer übrig bleibt, wenn du alles verloren hast. Es ist besser, das Ich über Charakter und Persönlichkeit zu definieren, denn beide kommen in Krisen deutlich zur Geltung. Am Ende zählen am Arbeitsmarkt das Netzwerk, das Wissen und die Fähigkeiten, die außerhalb vom konkreten Job bestehen bleiben. Der neue Anfang Neun Wochen nach der Insolvenz begann ich meinen neuen Job. Ich leite heute bei der internationalen Personalberatung Pedersen & Partners den Geschäftsbereich Compensation Consulting und berate in dieser Funktion Unternehmen zum Thema Gehalt. Statt für 30 Länder bin ich bei meinem neuen Arbeitgeber nun für 45 Länder zu diesem Thema verantwortlich. Den Kontakt zu meinen Ex-Kollegen habe ich in den meisten Fällen gehalten. Fast alle haben bald wieder einen neuen Job gefunden und blicken erleichtert auf diese turbulente Zeit zurück. Am Höhepunkt unserer Krise meinte eine Kollegin: „Am Ende wird alles gut. Und ist es nicht gut, ist es nicht das Ende.“]]>
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